Seit vielen Jahren fotografiere ich Käfige in unterschiedlichen Kontexten; in Zoos und in privaten Räumen wie in der Serie „Rattenhausen“. Hier zeige ich eine kleine Auswahl aus dieser Serie.
Mir geht es ausschließlich um die Architektur der inszenierten Räume und ihre auf Natur verweisenden Requisiten. Wie werden tierische Lebensräume dort nachgebildet? Wie fügen sich die Käfige in die Einrichtung von Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche, wie grenzt sich Menschliches und Tierisches voneinander ab? Verzahnt es sich?
Menschen teilen Möbel mit Nagetieren – unterm Tisch ein Freigehege, unterm Sofa ein Versteck. Manche verzichten gar auf einen ganzen Raum innerhalb der Wohnung, damit die Tiere sich dort frei bewegen können. Käfige sind Erlebniswelten für die kleinen Freunde: Papprollen, Abflussrohre, Brotkörbe, Stoffreste, Büsche, Seile bieten ihnen ein fantasievolleres Heim, als es manche menschlichen Bewohner für sich selbst gestalten.
Rattenfreundin Gerda N. beschreibt das von ihr konzipierte Heim ihres kleinen Rattenfreundes, indem sie einen Perspektivwechsel vom Subjekt zum Objekt vollzieht: „Hier ist das Schlafhaus – der beste Aussichtsplatz der Welt. Man kann sich hier in noch eine Hängematte kuscheln und die Menschen beobachten!“
Einige der NagetierhalterInnen haben mir auf meine Bitte hin Texte zur Verfügung gestellt, in denen sie begründen, warum sie mit Tieren in ihrem Haushalt leben. Diese Texte sind hier unverändert veröffentlicht.
Ich danke allen dafür, dass sie mir erlaubt haben, in ihren Wohnungen zu fotografieren.
Diese Serie wurde 2018 im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie in der Galerie ep.contemporary ausgestellt.
Willkommen in Rattenhausen! Fotografien von Sabine Wild! Haben Sie schon einmal Albert Camus’ Roman „Die Pest“ gelesen? Dann wissen Sie, dass das Unglück näher rückt, wenn die Ratten aus dem Untergrund aufsteigen, sich in der Stadt, unter den Menschen verbreiten und alle, die sich nicht retten können, mit dem Virus infizieren. Der Tod: kein tanzendes Skelett, wie im Mittelalter, kein Sensenmann, wie im Barock – sondern ein unbeherrschtes Tier, noch dazu eines, das in seinen genetischen Bestandteilen dem Menschen ähnelt.
Kennen Sie einen Menschen, der sich ein Haustier hält? Dann wissen Sie um das seltsam innige Verhältnis, das sich zwischen den Lebewesen entspinnen kann, eine Beziehung weit jenseits des Pragmatischen (der ursprüngliche Zweck der Haustierzucht war ja deren Nutzen, also purer Pragmatismus), die manchmal regelrecht symbiotisch erscheint, gar auf psychisch-emotionaler Ebene. Wer es ernst meint mit den Tieren, gibt ein Stück seines menschlichen Daseins auf.
Hier setzt die Berliner Fotografin Sabine Wild an, die mit großformatigen Verfremdungsbildern von Bauten und Stadtlandschaften bekannt geworden ist. Über Jahre hinweg hat Sabine Wild die Lebensräume von Rattenbesitzern dokumentiert, um die Spuren menschlich-tierischer Annäherungen auf räumlich-ästhetischer Ebene sichtbar zu machen. Das klingt lapidar. Und tatsächlich scheinen die Fotografien auf den ersten Blick kaum mehr zu zeigen, als Wohnungen, deren Einrichtungsstil man mögen kann oder nicht. Aber haben Sie genau hingeschaut? Regiert nicht auch hier – Verfremdung? Versuchen Sie einmal, sich die Interieurs ohne den Lebensraum für die Ratten vorzustellen. Versuchen Sie sich vorzustellen, wie die Arrangements von Käfigen, Gitterwänden, Rädern, Türmen, Brücken, Kisten, Röhren, Rampen, Steinen, Sandhügeln, Kästchen, Stämmen, Näpfen, Decken, Planen im Laufe der Zeit immer größeren Raum erobert haben. Wie sich die Menschen immer weiter zurückzogen, ihren Tieren immer mehr Platz einräumten.
Jede Beziehung hat eine Geschichte. Wer lebt hier mit wem? Warum und Wozu? Opposition gegen die Evolution? Aufstand gegen den Hygienewahn der Moderne? Gehen Sie auf Besichtigungstour durch Rattenhausen.
Dr. Christian Welzbacher
TATJANA
Mein Herzensprojekt Rodent Souls. Endstelle für weggeworfene Tiere, Privatabgaben, Notfellchen aus dem Heim und Labor.
In der heutigen Zeit wird alles weggeschmissen und ausgetauscht. Auch Lebewesen. Für mich ist das unverständlich und schmerzhaft, besonders weil ich weiß, wie viel gerade die Tiere mit schlechter Vergangenheit zurückgeben und wie sehr sie ihre neuen Leben genießen.
Das ist mein Antrieb weiter zu machen, auch wenn es mich manchmal an den Rand der Verzweiflung bringt. Bei einem größeren Tierbestand ist immer jemand krank, muss zum Tierarzt, gepäppelt werden, Medikamente bekommen…
Das ganze zwischen Schichtdienst und dem bisschen Privatleben, das man so hat. Oft kann man einem Tier nur noch helfen, wenn man es schmerzlos gehen lässt. Das tut weh, auch noch nach vielen Jahren. Es kostet einen Haufen Geld, viel Zeit und Enthusiasmus. Jedoch muss ich sagen, dass es keine dankbareren Wesen gibt. Sie sind es wert. Gerade die Kleinen, die nur leider kaum eine Lobby haben.
CHRISTIN
Ich habe 2008 mit zwei Ratten angefangen, Yuri und Suki, ich habe sie geschenkt bekommen mit einen kleinen Käfig… Zum Anfang wusste ich nichts über die Tiere, aber ich lernte schnell dazu und habe noch im gleichen Jahr einen großen Käfig gebaut (der heute noch steht) und noch zwei Ratten dazu geholt (Nami und Yumi). Am 24.12.09 starb Yuri beim Schmusen in meinem Arm, sie hatte einen Schlaganfall.
Ich holte mir dann wieder zwei Ratten, und kurz darauf lernte ich Karina kennen, eine Züchterin mit viel Liebe… Sie hat mir viel beigebracht und mich lange begleitet, und sie arbeitet bei meiner Tierärztin. Und dann kam die erste Notdame zu mir durch Karina… eine sehr kleine ausgesetzte Dame, die kugelrund war, und am nächsten Tag waren ihre Babys da, aber es war traurig, viele starben, weil die Kleine viel zu klein und dünn war. Vier Kleine überlebten, und wurden groß und stark. Die Mama Candy und ihre zwei Töchter blieben bei mir, und die beiden Jungs hatte ich in gute Hände vermittelt. Und dann fragten mich die ersten Freunde, ob ich auf ihre Kleinen aufpassen könnte. Dann kamen Käfige in die Küche und erst alles provisorisch, aber artgerecht, ich habe mich von Jahr zu Jahr verbessert…
Neben der Urlaubsbetreuung habe ich immer Notis geholfen, ausgesetzten Ratten nach Halterschaftsauflösungen (aus verschiedensten Gründen). Oft waren arme Seelen dabei, und ich habe sie aufgebaut, und dann habe ich sie zu Leuten gegeben, wo die Tiere zu den Menschen passen… Manche blieben auch bei mir… Auch mal Tiere von meiner Tierärztin die ihr vor der Tür gestellt wurden. Hier bei mir habe ich meine Wohnung umgebaut, um es für alle gemütlich zu machen und den Nasen ein schönes Zuhause zu bieten, aber so, dass es für mich auch gemütlich ist.
Außerdem leben noch 2 Katzen in meiner Wohnung und sie haben gelernt, dass die Ratten zur Familie gehören und haben ihnen noch nie ein Haar gekrümmt. Im Jahr habe ich ca. 100 Notfällchen und oft vermittele ich sie durch Mundpropaganda oder Facebook und berate viel, um zukünftige Notfälle zu vermeiden.
ASLI
Tieren in meinem Umfeld habe ich als Kind bereits große Achtsamkeit geschenkt. Heute weiß ich, viele Tiere eignen sich nicht für die Wohnungshaltung, da sie meist in zu kleinen Käfigen eingesperrt leben müssen.
Bei meinen ersten Ratten im Jahre 2003 habe ich geglaubt, ihnen mit dem vom Zoohandel empfohlenen Käfig ein artgerechtes Leben schenken zu können. Schnell sah ich ein, dass ich mich geirrt hatte. Ich war ein Teil der Tierhandel- Maschinerie geworden. Dem Fachhandel ging es nicht darum, artgerechte Bedingungen zu empfehlen, sondern lediglich Gewinn zu erwirtschaften. Mein eigener Fehler dabei war, dass ich es versäumt hatte, zuvor in ein nahe gelegenes Tierheim zu gehen und mich eingehend zu informieren und vielleicht auch nach Pflegestellen zu fragen.
Nun möchte ich den Irrtum von vor 14 Jahren ausräumen und setze mich seitdem für Aufklärung in der Heimtierhaltung ein. Ich biete eine erste Auffangstation für Abgabetiere. Dabei liegt der Fokus darauf, besonders in Not geratenen Tieren aus schlechten Haltungsbedingungen schnell eine erste provisorische Unterbringung zu bieten, um schließlich ein artgerechtes neues und dauerhaftes Heim zu finden. Dieser Einsatz erfordert Energie-, Geld- und Zeit. Das Abholen, die ärztliche Gesundheitsversorgung, das Pflegen und Päppeln und oft auch die erstmalige Gewöhnung an den Umgang mit Menschen in unseren privaten Wohnräumen ist mit der Hoffnung verbunden, aufgeschlossene Menschen zu finden, die bereit sind, Tieren aus einer Pflegestelle ein artgerechtes Heim zu bieten.
Der Aufwand, die Tiere bis zur Vermittlung zu beherbergen, erfordert von mir, meine Umgebung flexibel auf die Aufnahmesituation anzupassen. Mir sind geordnete Verhältnisse und Sauberkeit sehr wichtig. Dafür achte ich auf die Vereinbarkeit unserer Wohnungseinrichtung mit den übergangsweise gebotenen Quartieren. Damit wir unseren beruflichen Alltag, der nicht mit Tierschutz in Verbindung steht, und natürlich auch unsere sonstigen Interessen so weit möglich mit dem Einsatz für Tiere in Not möglichst einfach verbinden können, versuche ich die Optik der Aufnahmegehege in unsere Wohnungsarchitektur einzugliedern.
ANASTASIA
Es gibt viele Haustiere. Typische Haustiere, exotische Tiere, Tiere, die zu groß sind für eine kleine Großstadtwohnung, kleine Tiere, die in ein Handtäschchen passen, Tiere, die gut zum Beobachten und Entspannen sind und welche, die uns morgens um 4 wecken. Für die Mehrheit von uns teilen sich Hund und Katze den ersten Platz unter den beliebtesten Haustieren. Dann gibt es noch kuschelige Nagetiere, Fische, es gibt Schildkröten und Bartagamen. Und es gibt Hausratten. Sie wären ja kuschelig und süß, wenn da nicht dieses lange, scheinbar haarlose Stück Ekel wäre, und dieses unterschwellige Gefühl der unhygienischen Gefahr. Manchmal versuche ich dieses Empfinden nachzuvollziehen, allerdings bislang ohne nennenswerten Erfolg. Darum erzähle ich einfach, was ich von Ratten halte, denn immerhin halte ich drei.
Schon als Kind empfand ich eine Sympathie zu Ratten, und stieß mit 12 Jahren das erste mal auf starke Antipathie im Familienkreis – damals machte mir mein Vater klar, dass ihm “keine Ratten ins Haus kämen”. Auch heute noch weigert er sich, mich in meiner Wohnung zu besuchen.
Wie geht es mir mit meinen drei Rattenmädchen (ich nenne sie tatsächlich gern Rättchenmädchen). Sie sorgen für viele positive Emotionen. Früh am morgen vor der Arbeit, wenn der Tag noch grau und dunkel ist und man ungern das Haus verlassen will, erwische ich gerade noch ihre Wachphase und kriege viel von ihrer Lebenslust und Neugier mit, wenn sie an der Käfigtür ungeduldig auf mich warten und mit allen Mitteln signalisieren, dass sie doch so gern raus auf Erkundungstour gehen wollen. Genauso ist es wenn ich wiederkomme – abends kommen die Mädels wieder aus ihren gemütlichen Schlafhäuschen und Hängematten und werden dann zunehmend wach. Für einen Menschen mit einem Standard-Tagesjob ist es also perfekt. Ganz anders als bei einem Hund braucht man hier also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man tagsüber viele Stunden nicht da ist. Dafür ist es umso wichtiger möglichst jeden Tag den Ratten einen Auslauf zu ermöglichen, und auch mit ihnen zu interagieren.
Je mehr Zeit ich mit meinen Ratten verbringe, umso zutraulicher werden sie. Man kann die Zeit natürlich auch dazu nutzen, den Ratten ein paar Tricks beizubringen, eine Leckerlie-Suchjagt für sie zu veranstalten oder einfach mit ihnen herumzualbern. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass man bei keinem anderen Nagetier so viel zurück bekommt wie bei Ratten. Allerdings ist jede Ratte anders. Einige sind ruhig, schlafen in der Jackentasche und lassen sich lange streicheln. Andere, wie meine, können eigentlich nur beim Essen still sitzen und sind ansonsten aber immer überall und nirgendwo – ständig am Erkunden, Raufen, und ich wette, dass sie auch andauernd planen, wie sie die Weltherrschaft an sich reißen, oder zumindest aus ihrem Auslauf aufbrechen können.
Da mein Partner kreativ, motiviert, und nicht zuletzt handwerklich sehr begabt ist, haben wir einen eher ungewöhnlichen aber sehr praktischen Auslauf. Er besteht aus vielen Holz- und Plexiglasplatten, Scharnieren, und einer Drainagerohrverbindung. Diese ermöglicht den Ratten jederzeit in den Käfig zurück zu kehren, etwas zu Essen zu schnappen, die Toilette zu benutzen oder uns zu signalisieren, dass sie jetzt wieder zur Ruhe kommen wollen. Mit Plexiglas bekommt man auch tolle 3D Labyrinthe und Intelligenzspielzeug hin und kann seine eigenen kleinen Projekte perfekt umsetzen.
Ratten bekommt man heutzutage überall her. Auf eBay finden sich viele Hobbyzüchter, in jeder größeren Stadt findet man viele Ratten in Tierheimen, und auch private Notfallunterkünfte, wo Rattenliebhaber die Vermittlung selbst in die Hand nehmen. Bei Tierheimen und Notfall-Unterkünften finden sich oft bereits zahme Ratten jedes Alters, welche aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei ihren Besitzern bleiben konnten. Aus moralischer Sicht, ist die Aufnahme solcher Ratten sehr wünschenswert, und bringt viele Vorteile mit sich. Gerade in Notunterkünften wie bei Asli im Prenzlauer Berg, werden die Vermittlungsratten optimal auf ihr neues Zuhause vorbereitet. Solche Ratten sind handzahm, man hat die Möglichkeit die Ratten vorab kennen zu lernen und sie nach ihrem Charakter auszusuchen (was in Tierhandlungen niemals wirklich möglich ist). Nach der Aufnahme hat man immer einen Ansprechpartner für sämtliche Fragen, Arztbesuche, Urlaubsbetreuung und auch wenn irgendetwas mal schief gehen sollte, bleibt man damit nicht alleine. Ein Kauf beim Züchter hingegen erhöht die Nachfrage, fördert weitere Zucht und sorgt dafür, dass immer mehr Ratten auf den Markt gelangen. Leider passiert es immer wieder, dass Ratten wieder abgegeben werden. Wir als Tierhalter finden es schön, gerade solchen Tieren dann eine zweite Chance zu geben.
Wenn man sich für Rattenhaltung entscheidet, sollte es einem bewusst sein, dass diese Tiere, entgegen der Erwartung vieler, viel Zeit und Engagement erfordern. Leider ist die Lebenserwartung der Ratten mit 2-3 Jahren sehr kurz, sodass man sich insgesamt schnell wieder von seinem geliebten Tier trennen muss. Einzelhaltung ist bei Ratten nicht artgerecht, deshalb muss man bei der Anschaffung sich gleich um ein ganzes Rudel kümmern (mindestens 3 Tiere). Stirbt ein Tier, sollte man das Rudel wieder aufstocken. Man benötigt einen großen Käfig, bei dem man einige Besonderheiten beachten muss, spezielles Rattenfutter, täglich frisches Obst und Gemüse und frisches Wasser. Ein Rattenkäfig muss regelmäßig gesäubert werden, um unangenehme Geruchsentwicklung zu vermeiden. Ratten sind vor Krankheiten nicht sicher, deshalb muss man teilweise hohe Tierarztkosten einplanen.
Ist man dazu bereit, kann man sich sicher sein, dass die Ratten ein wertvoller und fester Bestandteil des Lebens werden und den Alltag mit sehr viel positiver Energie bereichern werden!
CHRIS
Ratte verschwunden
Manchmal kann man im Tierheim an bestimmten Ratten nicht vorbeigehen, ohne sie mitzunehmen. Bär ist ein älterer agouti Rex, den ich nach der Kastration erst mal in Quarantäne im Gästezimmer gehalten habe. Auslauf hatte er im ganzen Zimmer, da ich sicher war, dass so ein älterer Herr schon nicht viel anstellen wird. So weit so gut.
Als er mal wieder Auslauf hatte, die Tür vom Zimmer war auf, jedoch eine Pappwand dazwischengeklemmt, klingelte es an der Tür. Es war die Apothekenlieferung für mich und sie passte nicht in den Briefkasten. Also ging ich ihr entgegen, damit sie nicht ganz in den 4. Stock laufen musste. Die Haustür blieb für diesen Moment auf. Kaum war ich oben, klingelte das Telefon und ich vergaß, die Haustür zu schließen. Nach Ende des Gesprächs schloss ich die Haustür und wollte mal schauen, wo Bär war. Optisch war er erstmal nicht zu finden. Ich bemerkte, dass er sich den Weg hinter die Kommode frei geräumt hatte und dachte, da komm mal selber wieder raus. Nach einer Stunde war immer noch nichts zu sehen und zu hören. Auch auf Lockrufe und Lekkerligerassel keine Reaktion. Sollte er zur Haustür raus sein? Aber die Pappwand war nicht umgekippt. Sicherheitshalber bin ich einmal vom 4. Stock in den Keller gegangen, aber keine Ratte. Was nun? Weiter warten oder Kommode wegschieben.
Dann hörte ich ein kurzes Geräusch, konnte es aber nicht lokalisieren. Also ran an den Spaß und die Kommode weg geschoben. Super, jede Menge Staubflusen, aber immer noch keine Ratte. So langsam machte sich Panik breit. Noch mal genau das ganze Zimmer abgesucht und nichts gefunden. Wo kann sich hier eine Ratte in Luft aufgelöst haben? Im Zimmer ist ein Vorhang, hinter dem allerlei Gerümpel gelagert wird. Unter anderem auch lange Pappröhren als Tunnel für die Ratten. Aber die standen alle hochkant und waren schwer, wie sollte er sie sich übergestülpt haben? Na ja, ein Blick kann nicht schaden und man glaubt es nicht, ganz unten drinne saß Bär und gab keinen Pieps von sich. Schnell die Röhre hoch und Bär ganz doll gekuschelt. Mann, war ich froh, dass er wieder da war. Aufs Schimpfen habe ich verzichtet.
Doch wie war er da rein gekommen? Neben dem Vorhang stand ein Tisch, und er wird irgendwie auf den geklettert sein und hat es dann geschafft, in seiner Neugier in die Röhre zufallen. Das zu dem Thema, was Ratten möglich unmöglich machen – mit Happyend.
Eine wahre Geschichte
Durch meine Rückenprobleme bin ich regelmäßig in Behandlung bei einer Krankengymnastin. Man kommt sich mit der Zeit näher und inzwischen duzen wir uns.
Zweimal hatte ich auch schon Ratten mit zur Therapie gebracht, weil ich direkt vom Tierarzt zu ihr gefahren bin, um es zeitlich zu schaffen. Vor einigen Wochen fragte sie mich, was man denn bei Ratten im Garten machen könnte. Sie hatten dort einen Kompostbehälter und festgestellt, dass dort mindestens zwei Ratten wären. Ich machte den Vorschlag einer Lebendfalle und das ich ihr eine leihen könnte. Doch das wollte sie nicht. Dann könnte sie sich nur erkundigen, mit Gift zu arbeiten. Allerdings machte ich sie darauf aufmerksam, dass dabei auch Nachbarstiere wie Katzen oder Hunde gefährdet wären und sie den Nachbarn dann Bescheid geben müsste. Damit war das Thema erstmal beendet.
Zwei Wochen später erzählte sie mir, dass ihr Mann sich doch für Gift entschieden hätte. Und?, fragte ich. Er musste noch am gleichen Tag in die Rettungsstelle des Unfallkrankenhauses. Ist er gebissen worden? Nein, er hatte die Giftköder mit bloßen Händen ausgelegt und dann in seinem Gesicht rumgewischt und wohl auch was eingeatmet. Im Krankenhaus hat man ihm dann sicherheitshalber ein Gegenmittel gegen die Blutungen gegeben, die es sonst bei den Ratten auslöst.
Na, ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, aber sie lachte auch, als sie es mir erzählte. Und das Rattenproblem? Eine Ratte war tot und die andere war zu den Nachbarn weitergezogen. Den Kompostbehälter haben sie erstmal abgebaut. Ja, so kann es einem gehen, wenn man Ratten töten will. Ich halte auch immer viel davon, Gebrauchsanweisungen zu lesen.
Ich glaube so schnell wird ihr Mann keine Ratten mehr vergiften.
MARTIN
REBECCA UND TIMO
Tierliebe und Rattenfreunde
Ich habe schon seit ich denken kann stetigen Kontakt zu Tieren dank tieraffiner Eltern und des Aufwachsens in diversen Dörfern. Bereits vor meiner Geburt lief meinen Eltern ein frecher, schwarz weißer Kater zu. Er wurde von meinen wortwitzigen Eltern Jimmy Kater genannt. Es gibt Fotos, wie ich mir sein Katzenfutter mit ihm teile. Im Dorf hatte ich dann steten Kontakt zu Katzen, Hunden, Pferden, Kühen, Schweinen und Schafen. Auch aus unserem Einfamilienhaus wurde im Laufe meiner Kindheit und Jugend ein tierisches Paradies. So waren vier Katzen, drei Kaninchen und ein Hund meine stetigen Begleiter, als junger Teenager wurde ich Vegetarierin. Als ich nach meinem Schulabschluss 2011 aus meinem Elternhaus und in die Stadt flüchtete, brach eine tierarme Zeit für mich an. So wohnte ich in drei Wohnungen, mit meinem Partner zusammen und ohne Tiere. Mir wurde stets geraten, keine Tiere zu halten, da ich meine jugendliche Freiheit genießen sollte.
Mein Partner hatte nie eine besondere Verbindung zu Haustieren aufgebaut (bis auf eine Raupe, sie hieß Raupe Nimmersatt, die er mit Salatblättern in einer Schublade großzog). Je länger ich also tierfrei lebte, desto mehr vermisste ich meine pelzigen Begleiter. So sprachen wir immer öfter über die Möglichkeiten tierischer Mitbewohner. Mittlerweile waren wir beide vegan geworden und wollten möglichst Tiere halten, die wir auch möglichst pflanzlich ernähren könnten. Nach einiger Recherche und den Videos einer YouTuberin über ihr Rattenrudel legten wir uns auf Ratten fest. Auf die Idee zu ‚Züchtern‘ oder in Zoohandlungen zu gehen, kam ich gar nicht erst. Alle meine bisherigen Tiere waren zugelaufen oder adoptiert worden. Zudem hatte ich mich Zuge des Veganismus sehr viel mit den schrecklichen Zuständen und Methoden der Haustiervermehrerindustrie beschäftigt. Nachdem ich einige Wochen über die idealen Haltungsmethoden recherchiert hatte, bestellten wir uns eine große Vogelvoliere, die wir selber mithilfe von alten Regalbrettern zu einem dreistöckigen Rattenpalast umbauten. Auch viele der Holzhäuschen und Brücken bauten wir selber. Nach der intensiven Vorbereitung fanden wir ein Rattenrudel, das aus vier Brüdern bestand, in einem anderthalb Stunden entfernten Tierheim. Wir brachten die armen Kerlchen (die im Tierheim direkt neben den Katzen, welche immer wieder an den Käfig sprangen, gehalten wurden) in ihre neue Heimat. Wir merkten ihnen die traumatischen Erlebnisse sehr an, sie gewöhnten sich nur langsam an die neue Sicherheit. Nach vielen Rattenausflügen unter das selbstgebaute Palettensofa und Flüchen über die säuberlich abgenagte Tapete war es endgültig um uns geschehen. Wir wurden zu nervigen Ratteneltern, die überall Fotos unserer Kleinen herumzeigten und stets von ihren berichteten. Jeder einzelne unserer Jungs hatte seine eigene Persönlichkeit, der eine frech, der andere schüchtern, der nächste verfressen und der letzte clever. Als wir Anfang 2017 nach Berlin zogen, fanden wir eine drei Zimmer Wohnung (62 qm) und nahmen uns schon da vor, den Ratten einen eigenen Bereich zu widmen. Nach einiger Planung und groben Vorzeichnungen ging es in den Baumarkt um Holzbalken, Latten, Scharniere und Laminat zu kaufen. Daraus zimmerten wir einen, fast das ganze Zimmer einnehmenden Auslauf, der den Ratten stets zur Verfügung stand. Wieder bauten wir einige Tunnel und Klettertürme selbst. Nachdem unser Rudel den Umzugsstress und die damit verbundenen Stressmilben überstanden hatte, genossen sie den Bereich sehr. Im Laufe des Jahres wurden sie alle merklich alt, krank, hinterhandgelähmt und schwach. Da zwei der Jungs bis zum Dezember verstorben waren, sahen wir uns nach neuen Fellnasen zur Rudelergänzung um. Wir schafften eine weitere Voliere an, die wir einrichteten und nahmen ein Rudel aufgeweckter, riesengroßer ehemaliger Laborratten auf. Wie sich bald herausstellte, waren diese etwas zu wild und stürmisch für unsere alternden Rentnerratten, sodass sie nur unter Aufsicht miteinander Auslauf bekamen. Im Januar begann dann eine sehr anstrengende und herzzerreißende Phase, in der vier unserer 5 Ratten plötzlich und bald hintereinander starben, die Tierarztkosten beliefen sich auf mehrer hundert Euro und die Trauer über den Verlust unserer felligen Familienmitglieder war nur sehr schwer auszuhalten. Nun stellte sich bei all der Trauer die Frage, die sich vermutlich jede*r Rattenhalter*in einmal stellt: Kann ich weiterhin Ratten halten oder ist es für mich zu schmerzhaft?
Relativ bald wurde uns jedoch klar, dass die Ratten nicht nur unser Leben bereicherten, sondern wir die Chance hatten, Ratten, die ein schreckliches Schicksal erleiden mussten, ein fast paradiesisches Zuhause zu geben. Und so stießen wir schließlich und dankbarerweise auf Asli. Schnell waren wir verabredet um zwei Ratten bei ihr kennenzulernen und sie aufzunehmen. Leider war eine der Neuratten aggressiv und verprügelte nicht nur seinen Kumpanen, sondern war auch auf die alteingesessenen Ratten nicht gut zu sprechen. Diese Ratte biss mich dann eines abends unglücklich in den Zeigefinger meiner rechten Hand. Am nächsten Morgen war der Finger angeschwollen und steif. Ein netter Arzt in der aufgesuchten Notaufnahme verkündete, dass der Rattenzahn meine Sehnenscheide getroffen habe. Diese sei nicht durchblutet und nun eitrig entzündet, es musste sofort operiert werden. Er sagte, dass dies eine klassische Haustierverletzung sei und fragte im selben Atemzug, wo ich meine Ratten denn her habe, seine Kinder hätten auch gerne Ratten. Eine halbe Stunde später lag ich im OP-Gewand auf einer Trage und wurde unter Vollnarkose operiert. In den folgenden Tagen lag ich am Tropf, rechte Hand mit drei Einschnitten und vielen Fäden unter Gips im Krankenhaus. Währenddessen teilte mein Partner mit, dass die Beißratte Angst bei den anderen verbreite. So organisierten wir die Rückgabe des Kleinen an Asli. Sie holte den Übeltäter bald ab und heute lebt er friedlich und glücklich in einem Mädchenrudel. Da unser Rudel nun doch sehr klein war, vermittelte Asli uns noch zwei aufgeregte Angstratten (die inzwischen kugelrund sind) und zwei sehr junge Miniratten. Später kam noch eine Rentnerratte hinzu. Nach vielen vielen Versuchen und Problemen der Vergesellschaftung haben wir nun zwei glückliche, entspannte Rudel. Sie kuscheln, futtern, erkunden die Welt und kabbeln sich gelegentlich.
Wir sind so froh, dass wir diesen wundervollen kleinen Lebewesen eine zweite Chance auf ein Leben geben, in dem sie wie die Schätze behandelt werden, die sie sind. Sie gehören zur Familie, daher ist es ganz normal für uns, ihnen ein ganzes Zimmer zu überlassen. Ich bin sehr sehr dankbar, dass ich die Chance habe, rattige Begleiter bei mir aufzunehmen.
PS: Rattenschwänze sind nicht ekelhaft, sondern fantastische, faszinierende Werkzeuge mit eigenem Fell! Ehrlich!
NATASCHA UND RICO